Archäologie des Augenblicks

Uwe Loebens

Die Galerie O.T. präsentiert mit der Einzelausstellung „Kreisläufe und Stilleben” Malerei und und Zeichnung der Saarbrücker Künstlerin Andrea Neumann.

Andrea Neumann wurde 1969 in Stuttgart geboren und studierte von 1991-95 an der Hochschule der Bildenden Künste Saar bei Prof. Bodo Baumgarten und Jo Enzweiler Malerei und Druckgrafik. Sie schloß ihr Studium 1996 mit Diplom ab und arbeitet seitdem als freischaffende Künstlerin in Saarbrücken. Einige ihrer Arbeiten waren hier bereits in Gruppenausstellungen zu sehen, während sie außerhalb Saarbrückens, z.B. im Schorndorfer Forum für Kultur und Politik, auch zwei Einzelpräsentationen bestritt.

Dem Traditionszusammenhang des Tafelbildes verpflichtet, handelt die zumeist großformatige und lichtvolle Malerei Andrea Neumanns von Augen-Blicken. Ohne einem deskriptiven Realismus zu huldigen, verdichten ihre Stilleben, die sich oft zu veritablen Interieurs auswachsen, Gebrauchsgegenstände, charakteristische Konstellationen und sphärische Bezüge einerseits in ihrer dinglichen Eigenwertigkeit. Andererseits stehen diese Artefakte als Ablagerungen für gelebtes Leben oder für eine aktuelle Lebensform. Ihr ästhetischer und ihr Bedeutungswandel, wenn etwa eine Ikone vom religiösen Kultobjekt zu einem Genußgegenstand des Lifestyles mutiert, eine Milchtüte, eine Kaffeekanne der 60er Jahre z.B. beschreiben das kaum beachtete, dennoch bezeichnende Umfeld einer alltäglichen Existenz ebenso wie Ikea-Mobiliar und Computerbildschirme.

Auch in ihren figurativen Gemälden betreibt Andrea Neumann eine Archäologie des Augenblickes. Wie die Stilleben und Interieurs entzünden sie sich an flüchtigen Situationen eines Zusammenklangs des Dinge und einer möglicherweise banalen Handlung mit dem Licht, das sie erst erscheinen läßt.

Für den Hauch einer Sekunde schweigen die Vögel. Und dennoch scheint ein Ton angeschlagen, der hinter dem dünnen Schleier einer sonst als fragmentiert erfahrenen Welt eine überzeitliche Struktur mitschwingen, hörbar, besser sichtbar werden läßt. Der Blick weitet sich erstaunt, und glaubt einen sinnfälligen Kreislauf und Austausch zwischen verschiedenen Aggregatzuständen eines nach Parmenides unteilbaren Seins zu erahnen.

Aber Andrea Neumann beschreitet mit ihrer Malerei weder das fußfallenreiche Gelände der Anekdote, noch verstrickt sie sich in symbolträchtige Spekulationen über prästabilisierte Harmonie oder beläßt es bei psychologisierenden Momentaufnahmen. Ihr Blick ist der der Distinktion. Der im Wimpernschlag eines Augenblicks erahnten Struktur antwortet sie mit Bildern, die das momentverhaftete Sujet hin zu einer reinen Malerei durchdringen. Das atmosphärisch aufgeladene Licht, in das sie ihre stark vereinfachten Gegenstände und Personen taucht und das sie in der Schwebe hält, reißt im Schattenwurf auf. Hier werden die Formen auf der Bildfläche verankert und zugleich in Farbflächen und Texturen zerbrochen, die die Pinselschrift erkennbar machen. Und Linien spinnen ein sprödes ornamentales Geflecht. Hier auch formiert sich Räumlichkeit, um sogleich in die Fläche abzutauchen. Die Komposition, das Gewerke des Bildes scheint durch und verweist auf sich selbst.

Eindringlicher noch als in ihren Gemälden läßt sich auf Andrea Neumanns skizzenhaften Aquarellen und Tuschezeichnungen die Bedeutung des antagonistischen Verhältnisses von Licht und Schatten für ihr bildnerisches Denken nachvollziehen. Es ist dem Prinzip der Polaritäten, wie es Goethe in seiner Farbenlehre formuliert hat, verpflichtet. Während einerseits greller Lichteinfall Körper und Gegenstände beinahe im Weiß der Fläche auslöscht, werden sie andererseits vexierbildartig von zu Farbflecken gesteigerter Dunkelheit rekonstruiert. Die eigentliche Bestimmung der Körper und Gegenstände jedoch scheint als Schatten die eigene Abwesenheit zu konstatieren und an den ungreifbaren Anlaß des Erstaunens zu erinnern. Das Weiß, auf dem alles begonnen hat, kehrt zu sich selbst zurück.

Ausstellungseröffnung: Freitag, den 2. Juli 99, 20.00 Uhr / 3.7 bis 25.7.9

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