Farbliche Delikatessen

Linientreu und kugelsicher, 70 Tage vor Ort, Stuttgart

Dr. Alexander Klee

Andrea Neumanns Arbeiten entstehen nicht aus kontemplativem Empfinden, den Tuschen des Zen-Buddhismus gleich, oder den Arbeiten Julius Bissier vergleichbar, nicht symbolisch – sondern aus der Konfrontation mit den alltäglichen Allegorien und Widersprüchen kultureller Tradition und ihrem Bildungsgut zum erlebten und gelebten Leben (am deutlichsten im Aquarell Gin-Tonic mit Bambino).

Die farbliche Delikatesse ihrer Aquarelle steht im Widerspruch zu den abgebildeten Gegenständlichkeiten in den Küchen-Stilleben. Hier erkennt man bei genauer Betrachtung etwa den Küchen- oder Spültisch, auf dem sich auch welkes Gemüse befinden darf oder eine Milchtüte, eine PET-Flasche, aufgeschlagene Frühstückseier oder gebrauchtes Geschirr.
An die Pop-Art erinnernd, setzt sie Motive der Gebrauchs- und Werbegraphik ein, so z.B. eine Milchtüte mit Alpenmotiv. Der weiße Grund trägt dabei zur Verfremdung der Motive bei, so daß die Milchtüte sich zum eigenständigen Kitschmotiv einer Sennenhütte im Milkalook wandelt, jedoch die davor stehende Kanne den Betrachter auf das Wiedererkennen der eigentlichen Tetrapack-Milchtüte zurückführt.

Der beobachteten Natur-, Landschafts-, Interieur- und Stillebenform folgt die Umarbeitung und Verfremdung dieser Beobachtungen – geleitet von künstlerischer Intuition – mit Hilfe der Sinnlichkeit der Farbe.

Stark farbig, fast grell wirken die Aquarelle. Schatten und Lichtführung sind weitgehend aus den Bildern verbannt. Schattenzonen und vom Lichteinfall überstrahlte Flächen lösen sich zu weißem Bildgrund auf. An ihre Stelle tritt die weiße Fläche des Blattes. Mit der Einbeziehung des Grundes weicht die Räumlichkeit der Gegenstände der Flächigkeit der Silhouette. Schließlich kippt in manchen Arbeiten der weiße Grund zur vexierhaften Form. Der momentane Zustand, der eingefrorene Moment der vorüberschreitenden Sonne ist als Erlebnis des zeitlichen Augenblicks festgehalten. So wirken die Arbeiten wie ein Filmstill. Der Vergleich mit der Photographie liegt nahe.

Die Reduktion des Motives – nicht in eine abstrahierte oder sogar geometrische Form – legt eher den Vergleich mit einem Farbnegativ nahe. Durch die Pinselführung der Aquarelltechnik vereinfacht, erhalten die Gegenstände eine neue Charakteristik, die dem Aquarell und seiner Farbigkeit entspricht – nicht der des Gegenstandes. So wird das „non-finito” zur Flüchtigkeit des Augenblicks und eine Entdeckungsreise für den Betrachter.

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