Scheinbare Fraglosigkeit

„Vor der Natur“, Saarländischer Künstlerbund, Stadtgalerie Saarbrücken

Wolfram Armbruster

Vom nördlichsten Punkt der Bilder blickt fast unmerklich ein Fotoapparat auf die scheinbare Fraglosigkeit einer Szene herab, in der sich eine schwangere Frau ihres Bauches in betonter Pose vergegenwärtigt.
Dieses bedeutungstragende Detail eröffnet den Zugang zu Andrea Neumanns verschlüsselter Bildsprache: die dargestellte Figur fotografiert sich selbst in einem virtuellen Spiegel, der sich im Nirgendwo zwischen Bildebene und Betrachter findet.

Selbsterkenntnis stellt sich so nicht einfach her im Kokon der eigenen Befindlichkeit oder in der Vertrautheit mit sich selbst, sie bedarf gleichermaßen des Blickes aus der Arktis der Reflexion in ein Gegenüber, ins eigene, fremde Selbst: dort überrascht sich die dargestellte Frau vielleicht selbst als Teil organischer Natur, als Leben spendende physis.

Dabei thematisiert die vorliegende Reihe von Bildern neben dem Verhältnis von Körper, Reflexion und Selbst auch ihr eigenes Medium, die Malerei, indem sie ihr Verhältnis einerseits zum Gegenstand und andererseits zu ihrer großen Konkurrentin des 19. Jhds., der Fotografie, behandelt.

Mit den Wiederholungen und Veränderungen ihres Objekts begibt sich die Malerei in Spiele der Konzentration und der Auflösung: so reorganisiert sie z.B. Farbkontraste anhand verschiedener Muster, rückt Flächen zu immer massiveren Gebilden zusammen oder lässt von ihnen nur ätherisch wirkende Erinnerungsstücke zurück.

Die Fotografie wiederum wird einerseits zu einem Gegenstand unter anderen gemacht, während ihr andererseits auch eine bildkonstitutive Rolle zukommt, indem sie die bildnerische Umsetzung der Idee der Selbstbeobachtung erlaubt.

Darüber hinaus verweist die Metapher des Fotoapparats genauso auf das Konzept der Erinnerung wie die malerisch erzeugten Leerstellen in den Bildern: die festgehaltene Szene oszilliert zwischen Tatsache und Konstruktion, Ewigkeit und Vergessen. Auf diese Weise entsteht ein gedanklich kaum einholbares Verweisungsverhältnis zwischen Malerei, Fotografie und Gegenstand.

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