Was heißt das eigentlich: gegenständliche Malerei? Figuration?

Andrea Neumann „Tages-Schau – heimliche Landschaften“ Saarländisches Künstlerhaus, Juni 2004

Ernest W. Uthemann

Im (wohlgemerkt:) menschlichen Gehirn entsteht ein Bild, welches das (wohlgemerkt:) menschliche Auge dorthin übermittelt, eine Konstellation von Farben und Formen, die wir aus der Erfahrung anderer, bereits gespeicherter Konstellationen heraus als Hilfen zur Identifizierung der Welt nutzen. Ungewiß ist schon, ob unsere je eigene Empfindung der Farben und Formen mit derjenigen anderer menschlicher Individuen übereinstimmt, ganz zu schweigen von der visuellen Wahrnehmung aller übrigen Lebewesen.

Erst als Menschen begannen, die Dinge ihrer Welt bildlich darzustellen, entstand so etwas wie ein tertium comparationis: Von da an war zumindest eine Verständigung darüber möglich, daß diese Welt in eine Organisation von Formen und Farben gefaßt werden konnte, die von verschiedenen Individuen als Abbild eines bestimmten Vorbilds identifiziert wurde, wobei der Anteil der Konvention noch nicht berücksichtigt ist: Der prähistorische Künstler fertigte eine bildliche Abbreviatur etwa eines Auerochsen, nannte dies „Auerochse“, und von da an „erkannten“ seine Mitmenschen in einer ähnlichen Konstellation von Formen und Farben eben immer wieder einen Auerochsen – „Naturalismus“ meint ja nicht vollständige Re-Kreation. Wenn heute Computergraphik-Spezialisten ausgestorbene Tiere „zum Leben erwecken“, dann wird klar, was gemeint ist: wir „erkennen“ diese Tiere nur deshalb und „glauben“ solchen Darstellungen nur deshalb, weil wir bereits zuvor ähnliche Bilder gesehen haben – und nicht, weil irgendeiner unter uns jemals einem wirklichen Dinosaurier begegnet wäre.

Und noch etwas ist von Bedeutung für die Perzeption figurativer Darstellung: wie andere Lebewesen auch sind wir Menschen darauf programmiert, auf bestimmte, nicht sehr zahlreiche visuelle Schlüsselreize zu reagieren. Das heißt: Erkennen setzt keine umfangreiche optische Detailanalyse voraus, die dann in allen Einzelheiten mit den gespeicherten Daten verglichen würde – das wäre im Gegenteil eher hinderlich beim Wiedererkennen von Dingen und Menschen, die sich seit der letzten Begegnung verändert haben. Wir brauchen gar nicht viel zur Identifizierung: Dem berühmten „Smiley“ reichen zwei Punkte und eine aufwärts gebogene Linie im Kreis, um bei uns den Eindruck eines lächelndes Gesichts zu erzeugen.

Auf diesen beiden Voraussetzungen fußt im wesentlichen jede figurative Malerei. Andrea Neumann führt dies bis zu einem Punkt, an dem Kenntlichkeit gerade noch gewährleistet ist. Das heißt: Ihre Bilder changieren nicht etwa zwischen Figuration und Abstraktion, da sich aus dem oben Gesagten ergibt, daß bildliche Darstellung ohnehin immer eine Abstraktion darstellt.

Vielmehr erreichen die Bilder einen Punkt, an dem das Sehen zugleich als Arbeit verstanden wird, welche als die notwendige Voraussetzung zur Identifikation von Welt kenntlich wird, wie als Produkt unterschwelliger Reaktion auf bestimmte Reize. Dabei stellt die Künstlerin sowohl die Übereinkunft wie die Reflexe auf eine harte Probe, indem sie etwa die Maßstäblichkeit des Dargestellten verunklärt: Die Pferde oder Kühe zum Beispiel sind die Abbilder von Spielzeugen, deren „Ambiente“ aber malerisch so verkürzt wird, daß eine Fensterbank auch als Weide wahrgenommen werden kann. Gelegentlich irritiert darüber hinaus die Kombination der Bildobjekte des Betrachters – eine Micky-Maus-Figur steht riesig neben einer (Spielzeug?-) Kuh, ein kleines Diptychon konfrontiert (von oben gesehene) Spielzeugtiere mit Gartenmöbeln. Auch die Perspektive spielt hier eine Rolle: Der Blick in einen scheinbar weiten Raum wird durch ein eingeschweißtes Suppenhuhn zur Darstellung ein Kühlfachs relativiert, Landschaften mit Häusern mutieren zu Tischkanten mit Bauklötzen (oder umgekehrt). Indem Andrea Neumann häufig miniaturisierte und (eben auf Schlüsselreize und Konventionen reduzierte) stilisierte Spielzeuge wie Plastikkühe und Holzenten als Bildobjekte verwendet, verdoppelt sie sozusagen die Distanz zwischen Betrachter und Naturvorbild, und er wird der Möglichkeiten und Grenzen seiner visuellen Wahrnehmung inne. Und all dies ist gebettet in eine Malerei, die sich aus sich selbst begründet und gerade deshalb in einer souveränen Weise die Welt als Bilder vorzuführen in der Lage ist.

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